Fortsetzung: Helmut Federle spricht zum Werk von Robert Ryman, „Hallen für Neue Kunst“, Schaffhausen

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Helmut Federle spricht zum Werk von Robert Ryman, Hallen für Neue Kunst, Schaffhausen, am 5. Juni 1994, Fortsetzung

CHRISTOPH SCHENKER: In diesem Sinne, wenn du jetzt das über Robert Mangold sagst, verstehe ich auch das, was du vorher gesagt hast bezüglich des Farbauftrags von Robert Ryman, dass du darin eine Ähnlichkeit zu deinem Schaffen siehst. Bei Robert Mangold könnte man eigentlich sagen, dass ihn der Farbauftrag als solcher nicht so sehr interessiert. Er trägt die Farben ja auch mit Rollen auf, relativ flächig. Es geht ihm eigentlich um den Gesamteindruck, den schnellen Gesamteindruck eines Gemäldes. Während eben bei dir und bei Robert Ryman sowohl eine Klein- als auch eine Grossstruktur vorherrscht. Die Gemälde wollen von nahe gesehen werden, weil da etwas lesbar ist, aber gleichzeitig auch von Weitem, aus der Distanz, um das ganze Bild lesen zu können, um seine räumlichen Dimensionen erfahren zu können. Aber doch ist auch die nahe Perspektive wichtig. Sie lässt den Pinselduktus sehen und erfahren, was ja bei Robert Ryman sehr wichtig ist und bei dir ja offensichtlich auch. Dieses Prozesshafte, das sich zeigt im Farbauftrag, in den Farbüberlagerungen, die aus der Distanz nicht immer wahrnehmbar sind.

HELMUT FEDERLE: Das ist auch ein Aspekt, denn diese dualen Kräfte, also Vernunft und Unvernunft, sind gleichmässig in der Bildfindung vorhanden. Das ist zum Beispiel etwas, bei dem der amerikanische Expressionismus eine grosse Rolle gespielt hat. Auch für mich einer der grössten Einflüsse. Es gibt auf der einen Seite rationale Entscheidungen, die aber durchaus abgebrochen werden, im Bild selbst, zugunsten einer unvernünftigen oder unentschiedenen Position. An einem einfachen Beispiel ist das Bild auf drei Seiten zugemalt, also es geht völlig flächig an die obere Kante und an die Seitenkanten, aber unten läuft noch ein bisschen Farbe, unten ist es nicht zugemalt. Da geht es eben nicht darum, das Programm absolut durchzuhalten, sondern diese dualen Prinzipien zuzulassen und einsichtig zu machen. (...)

FRAGE AUS DEM PUBLIKUM: Wie setzen Sie Robert Ryman im Vergleich zu Ad Reinhardt?

HELMUT FEDERLE: Erstens glaube ich, war Ad Reinhardt nicht so grosszügig wie Robert Ryman. Ad Reinhardt war, ich weiss es zwar nicht so genau, aber ich glaube es, eine viel impulsivere, viel energischere Persönlichkeit. Das vermittelt sich natürlich auf dem Bild nicht direkt. In Ad Reinhardts Malerei sehe ich niemals diese Fragilität, die ich zum Beispiel in diesen Arbeiten hier von Ryman sehe. Das ist ja gerade ein anderes Wort, das ich hinsichtlich Robert Rymans für charakteristisch halte, das Fragile, das Zarte. Und das sehe ich bei Ad Reinhardt nicht; er vertritt eine viel härtere Position. Und das hat vermutlich mit der Persönlichkeit zu tun. Ob der Maler reagiert auf Grundbedingungen, die gesamtgesellschaftlich herrschen, und da seine Malerei als Kampfmittel versteht oder ob der Maler sich distanziert und die Malerei als eine sinnstiftende Positionierung seines Daseins auffasst, ohne dass das so weit gehen muss, dass er geradezu eine Persönlichkeitsverbesserung anstrebt.

CHRISTOPH SCHENKER: Also Sie haben nach dem Verhältnis gefragt?

ZUHÖRERIN: Ja, in Bezug auf die Malerei.

CHRISTOPH SCHENKER: In Bezug auf die Malerei gibt es natürlich noch weitere Aspekte. Ich meine, dass Ad Reinhardt jegliche Verbindung seines Gemäldes nach aussen sowohl psychisch, inhaltlich wie auch räumlich völlig vermeiden wollte. Deswegen sind zum Beispiel all seine Bilder nicht glänzend, sondern matt, sodass sich nicht mal das Licht im Gemälde spiegeln kann. Robert Ryman, könnte man sagen, spricht von einer nach aussen orientierten Ästhetik. Im Unterschied zur klassischen, nach innen gerichteten Ästhetik manifestieren seine Gemälde eine nach aussen gerichtete Ästhetik. Das wäre im Prinzip dem, was Ad Reinhardt will, absolut entgegengesetzt. Es kommt noch ein anderes Moment hinzu. Das ist nachzulesen in einem Aufsatz über Malerei von Robert Ryman, der in einem Katalog des Hauses abgedruckt ist. Da spricht er von der Abstimmung der verschiedenen Materialien aufeinander, über das Verhältnis des „Paint“, quasi, der Malerei oder der Farbe als materieller Qualität zu ihren ganz unterschiedlichen Trägern, worauf wir vorhin schon hingewiesen haben, und über den Träger dann wieder in Beziehung zu der Aufhängevorrichtung respektive zu den verschiedenen Materialien. Dieser materielle Aspekt, von dem man eigentlich eher denken würde, dass es ein Aspekt der Skulptur ist, der Plastik, der spielt in seinen Gemälden eine sehr, sehr grosse Rolle. Gerade weil die Malerei nach aussen gerichtet ist, bricht sie in ihrer Problematik auf, entdeckt sie skulpturale Aspekte für sich und manifestiert sich in ihnen, also in dieser Abstimmung verschiedener Materialien aufeinander.

HELMUT FEDERLE: Es scheint mir aber ein wesentliches Merkmal, dass er dem gegensteuert. Diese skulpturalen Momente relativieren das Bild nicht. Es ist wichtig, dies zu sehen. Sie definieren das Bild, aber sie relativieren es nicht, weil er natürlich innerhalb des klassischen Formates bleibt und es nicht strapaziert. Bei den neuen Arbeiten würde ich es ein bisschen anders sehen. Aber generell ist gerade das ein Wesentliches seiner Arbeit: trotzdem bei der klassischen Bilddefinition zu bleiben. Und zum anderen, was du gesagt hast und was er selbst auch immer wieder betont: Diese Ausrichtung nach aussen hat nicht zuletzt auch mit einer Reaktion auf eine Zeit zu tun, auf den amerikanischen Expressionismus, auf gewisse Strömungen davon, die nach innen gerichtet waren. Ich bezweifle, inwiefern Robert Rymans Arbeit stärker nach aussen gerichtet ist als zum Beispiel die von Günther Umberg. Also wenn man Günther Umbergs Bilder nimmt, deren Körperlichkeit eine viel tiefere ist, kann man sagen, dass sie vielleicht genauso nach aussen gerichtet sind. Da bin ich immer wieder skeptisch. Das ist dasselbe wie mit der Verneinung der Komposition. Weshalb wird eigentlich so stark darauf herumgeritten? Muss man denn beweisen, dass das klassische Bild nicht mehr hält, dass es nicht mehr möglich ist? Ich meine, für diejenigen, für die das nicht mehr möglich ist, ist es klar, dass es nicht mehr möglich ist. Und diejenigen, die noch daran glauben, wie ich, werden die Legimitation suchen müssen, wieso sie noch daran glauben können, nicht wahr? Aber man muss ja nichts beweisen!

CHRISTOPH SCHENKER: Ja, man muss auch präzisieren, denn es gibt die Komposition, die auf Mondrian zurückgeht, die als Modell denkbar ist, die von einer Abstraktion her kommt, teilweise auch symbolischen Charakter hat. Und es gibt die Komposition, die nicht ableitbar ist und nirgendwo hinführt. Die Gemälde, die du vorhin angesprochen hast, die Versions von Robert Ryman, das sind für mich Gemälde, die tatsächlich, wie du sagst, kompositorische Aspekte haben. Aber diese Komposition ist nicht ableitbar und sie führt auch nirgendwohin. Also ist man am Schluss doch nur vor Malerei.

HELMUT FEDERLE: Aber das würde ich auch bei Mondrian so sehen. Nicht zuletzt geht es mir um dieses Verständnis der Ikone, nach welchem im Bilde selbst die Definition stattfindet. Bei der Ausstellung, die ich jetzt in New York hatte, habe ich ja diese Ikone aus dem 15. Jahrhundert nicht einfach so als Anekdote reingenommen, sondern bei all diesen drei gezeigten Arbeiten war es mir wesentlich, auf diese Kompositionskriterien zu verweisen. Man sieht bei dieser Ikone schon eine totale Harmonisierung des Bildraumes mit der Symmetrie und mit den ganz feinen Nuancierungen, die diese Symmetrie aufbauen. Natürlich, diese Symmetrie erzeugt so etwas wie ein Wohlbefinden, weil sie einen durch das Bild führt. Die Ikone positioniert diesen Platz. Darum ist diese Ikone für mich, wie das Bild von Mondrian oder das von Hodler, eigentlich eine Station im Raum. Das sind Bilder, von denen man durchaus sagen kann, dass sie geschlossen sind. Anders als zum Beispiel Shaped canvas, Kunstwerke, die direkt auf den Raum verweisen, die aus dem Bild herauskommen oder von denen in irgendeiner Ecke des Raumes noch ein zweiter Teil vorhanden ist. Die wollen das Bildformat aufbrechen.

CHRISTOPH SCHENKER: Ja, meine Damen und Herren, wenn keine sehr dringenden Fragen sich mehr einstellen, möchten wir an diesem Ort schliessen. Ich danke Helmut Federle sehr, sehr herzlich, dass er zu uns gekommen ist, um diese Diskussion zu führen. Anfügen möchte ich noch, dass ich solche Diskussionen sehr wertvoll finde, weil ich denke, dass Künstler sich ja nicht nur mit ihren Gemälden exponieren, sondern auch in ihren Gedanken. Und ich glaube, genauso wie die Gemälde eines Künstlers ganz neue Perspektiven evozieren können, so können auch die Gedanken eines Künstlers ganz neue Perspektiven erschliessen. Deshalb finde ich solche Diskussionen äusserst wertvoll.

Gesprächsaufzeichnung: Susanna Kulli, Transkript: Galerie Susanna Kulli, St. Gallen, Lektorat: Dr. phil. Florian Vetsch, St. Gallen, 1994.

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